Spieglein, Spieglein

Daphne wachte auf und war verwirrt. Es war noch dunkel. Eigentlich merkwürdig, denn er hatte sich den Wecker auf 7 Uhr gestellt, und der klingelte gerade. Ein weiterer Blick aufs Handy klärte ihn auf: Zeitumstellung, die letzte. Ab jetzt würde es permanente Sommerzeit geben.

Daphne knipste seine Nachttischlampe an und seufzte. Die Birne hatte er schon gestern ersetzen wollen. Zum Glück hatten ihn zahlreiche Mitternachtshappen auf diesen Moment vorbereitet, er konnte sich mittlerweile auch ganz gut auch ohne Hilfe der Zehstoßnavigation durch seine Wohnung bewegen und auch ohne Sicht Brote schneiden und schmieren. Ein paar Brote und Seiten seiner e-Zeitung später – er war von Webseiten auf e-Zeitung umgestiegen, um nicht die ganze Zeit in sinnlose Kommentarsektionen blicken zu müssen – seufzte er erneut, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Zeitumstellungen passieren doch nicht vom Sonntag auf Montag. Er hätte sich gar keinen Wecker stellen müssen.

Er öffnete die Augen wieder und sah sein Smartphone. Er senkte den Kopf und sah sein Smartphone nochmal. Daphne konnte sich darauf keinen Reim machen. Hatte jemand einen Spiegel an seiner Decke montiert? Er hatte seit Ewigkeiten niemanden mehr zu Besuch gehabt. Er sah sich weiter um, und in der Tat, links und rechts von ihm war auch eine Spiegelung zu sehen. Was ein Prank. Er stand auf und ging zum Lichtschalter um das Außmaß dieses Streiches festzustellen. Der Schalter klickte und er verlor sofort das Gleichgewicht. Es gab keinen Boden. Es gab keine Wände. Es war nur eine ewige Reflektion der Glühbirne in alle Richtungen. Der Küchentisch war nirgends zu sehen, er musste entweder unsichtbar sein, oder auch verspiegelt worden sein. Sein Smartphone war offensichtlich auch verspiegelt worden, doch der Bildschirm war immernoch gut sichtbar. In jede Richtung. Daphne traute sich nicht mehr zu gehen und versuchte stattdessen zum Tisch hinzukrabbeln. Der Klang einer Tür, gegen die er sich den Kopf gestoßen hatte, ließ ihn innehalten. Er war in die falsche Richtung gekrabbelt.

In einem Anflug von Genialität schloss Daphne die Augen erneut. Zahlreiche Mitternachtshappen hatten ihn auf diesen Moment vorbereitet. Mit der Tür zur Reorientierung fand er schnell den Tisch, den Küchenstuhl und, als er die Augen öffnete, auch sein Smartphone. Doch was er sonst noch sah, verunsicherte ihn noch mehr: Sein Brot spiegelte. Und er selbst spiegelte. Er wusste nicht, was er tun sollte, also versuchte er ein Gebet.


Gott wunderte sich nicht über den plötzlichen Anstieg von Bugreports der Simsubjekte. Die Sysadmins testeten ihre Patches nicht genügend und begründeten das damit, dass sie nicht genug Zeit hätten. Gott rollte mit den Augen und hatte schon versucht, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass sie durchs Testen der Patches sich Emergencyfixes und Rollbacks so viel Zeit und Stress sparen würden – vergeblich. Stattdessen hatten sie ihm verboten, mehr zu machen als die Simulation zu pausieren und zurückzusetzen, aktives Eingreifen würde die Ergebnisse verfälschen, sagten sie.


Daphne wachte auf. Es war noch dunkel, doch die erste zarte Morgenröte war schon zu ahnen.